(Andreas Amrhein, 2018, He’s too lost to admit it, Acryl auf Bütten, 70 cm x 50 cm)
Ute Wöllmann, Künstlerin und Leiterin der Akademie für Malerei Berlin und verheiratet mit Andreas Amrhein. Text für einen Katalog der anlässlich einer Ausstellung im Juni 2018 in der Galerie C&K, Berlin, erschienen ist.Unser realistisches Leben mit echten Bildern
Als ich diese seltsame Porzellanfigur auf einem Berliner Flohmarkt entdeckte, dachte ich dass sie die Materialisation einer Bildidee von Andreas in unsere Lebensrealität sei: Nämlich nicht existente Porzellanfiguren zu erfinden und sie so täuschend echt zu malen, dass der Betrachter glaubt, dass sie tatsächlich existieren. Eine solche Figurerfindung hängt bei uns in 2 m x 1,60 m Bildgröße in unserem Wohnzimmer hinter dem Sofa. Der US- amerikanische Gangsta-Rapper 50 Cent, schwarz gekleidet, mit Nietenhalsband und einem verteidigungsbereiten schwarzen Rottweiler an der Leine, schaut aus 2 Meter Höhe jeden Tag auf uns herab. Der Blick sehr präsent, sehr distanziert, die Figur respekteinflössend. Der Hund auch. Und das Bild. Aber das Bild irritiert. Deswegen hängt es auch bei uns im Wohnzimmer. Nicht etwa, weil wir beide Fans von Gangsta-Rap sind. Ganz im Gegenteil. Auf den ersten Blick ist man mit dem Porträt von 50 Cent beschäftigt, auf den zweiten Blick mit der Malweise. Alles glänzt und schimmert, die Figuren sind auf Hochglanz poliert. Erst langsam realisiert man, dass es sich nicht einfach nur um ein Porträt, sondern um eine Porzellanfigur handelt. Der blumenumkränzte Bodensockel, auf dem Hund und Rapper stehen, verrät es. Aber nein, ist gar nicht blumenumkränzt. Oft sind an dieser Stelle Blumen, aber hier sind es weiße Eisschollen. Eisschollen? Egal! Weiter denkt man: Echt? Rosenthal oder Meissner Porzellan haben eine Edition mit Rappern herausgegeben? Das verwundert doch sehr! Den Multimillionär 50 Cent umgibt eine Aura von Mord und Totschlag, er machte durch Schießereien, Schlägereien, Drogen, Sexvideos und Gefängnis von sich reden. Sein ganzes Image hat nichts, aber auch gar nichts, mit der Tradition und der Geschichte der königlichen Porzellanmanufakturen Meissen oder Rosenthal und der Porzellanfiguren, die dort zur leichten Erbauung der oberen Zehntausend kreiert werden, zu tun. Das weiße Gold ist darüber hinaus eine Wertanlage. Es geht um viel Geld. Und das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit dieser beiden Welten. Während man beim Betrachten des Bildes all diesen Gedanken nachhängt, dämmert es einem: Nein, diese Figurinenreihe gibt es wohl doch nicht. Das Bild ist ein Statement. Es jongliert mit Realitäten. Allein wie betörend realistisch es gemalt ist. Da kann einer was! Wie es vorgibt etwas zu sein und wie es genau das nicht ist. Die Trompe l’oeil Malerei wird gebrochen durch den farbkräftigen, gestisch hingeworfenen Hintergrund in kräftigen Rot-Orange-Tönen in den hinein mit dem Pinsel eine US-amerikanische Comicszenerie gezeichnet ist. Aber nein, diesmal ist es nicht die gezeichnete Welt aus einem Western-Comic, Tim & Struppi oder Donald Duck, wie sonst oft in den Bildern von Andreas, sondern ein Wohnwagen eines Trailer-Parks – aber mit amerikanischer Flagge. Wer auch immer dort wohnt, ist trotzdem noch stolz auf sein Land. 50 Cent wird wohl nicht dort wohnen, aber er selbst stammt auch aus ärmlichen und sozial schwierigen Verhältnissen und hat es geschafft. Sowohl ins Gefängnis wie auch nach ganz oben. Zurück zum Flohmarkt. Im ersten Moment denke ich: Nein, die Figur ist nicht echt! Eine von oben bis unten schwarz verhüllte Kämpferfigur, nur die Augen sind nicht verschleiert, sitzt kampfbereit geduckt in der Hocke, der Arm hält von oben hinter dem Kopf im Rücken ein Schwert. Ein Taliban? Die haben dickere Turbane. Eine verschleierte Frau im Niqab, einem Ganzkörperschleier? Wir reagieren doch immer wieder recht einfach auf vermeintlich so klare visuelle Signale. Ach nein, es ist ein Ganzkörperanzug. Mit dem Schwert kämpfend? Wohl eher nicht. Ich werde misstrauisch und schaue nach: Ist das wirklich ein Schwert, was sie da hinter dem Rücken hält? Ja, doch! Es ist ein goldenes Schwert. Was stellt sie dar, diese merkwürdige Figur? Ich kaufe sie und schenke sie Andreas zum Geburtstag. Ein Volltreffer. Sie erweitert das Bildpersonal seiner Bilder perfekt und wird selbstverständlich sofort gemalt. Es ist eine Ninja-Warrior, werde ich aufgeklärt. Ninja-Warrior ist eine aus Japan kommende Wettkampfshow, die mittlerweile auch in Deutschland adaptiert worden ist, in der die Kandidaten erfolgreich vier Hindernis-Parcours absolvieren müssen, zu dem sie in Japan teilweise seltsam gekleidet auftreten. Diese Figur im Bild ist also einfach ganz genau abgemalt worden und ist nicht erfunden. Kennt man die Bilder von Andreas, spielt dieses Bild jedoch genau mit diesem Hintergrundwissen. Das gefällt mir! Die Welt ist eben manchmal ein merkwürdiger Ort und das, was angeblich Realität ist, ist vielgestaltig. Der ins Bild gemalte Spruch „He’s too lost to admit it sends regards” bringt es für mich auf den Punkt. Und so steht die gekaufte schwarze Ninja-Warrior-Porzellanfigur, obwohl wir beide auch keine Fans dieser Fernsehshow sind, ganz real auf unserem hochglänzenden schwarzen Klavier, das vorgibt, dass wohl zumindest eine Person dieses Haushaltes, oder auch mehrere, darauf spielt, im Wohnzimmer, neben dem schwarz gekleideten realistisch gemalten Rapper mit seinem schwarzen Rottweiler. Eine Szenerie, die offensichtlich unser beider unterdrücktes Gewaltpotential wie auch unsere Kultiviertheit thematisiert, alles schön inszeniert, unter einer wunderschönen Berliner Stuckdecke, von der herunter ein schwarzer Plastik-Kronleuchter hängt, der eben auch nur durch seine ins Plastik geschnittene Form vorgibt ein Kronleuchter zu sein. Die Bildwelt von Andreas setzt sich so, mehrfach gebrochen aber ganz echt und echt real, in unserem Wohnzimmer fort. Wir sind doch ganz harmlos. Echt! Das sieht man an dem von unserer damals achtjährigen Tochter mit hoch glänzenden bunten Pailletten auf schwarzem Samtgrund gestecktem Einhorn mit wehender Mähne, was direkt über der Ninja-Warrior hängt. Nix da mit Hochkultur! Wir sind eigentlich auch keine Fans von Paillettenbildern, nur von diesem einem. Und auch nicht von echten Porzellanfiguren in unserem Wohnzimmer. Ja, ja, schon klar! Zum weiteren Beweis hängt rechts vom Klavier ein echtes Vogelhäuschen aus gar nicht glänzendem sondern wettergegerbtem Holz an der Wand, das mehrere Sommer erfolglos auf unserem Balkon hing, wurde es doch nie von einem Vogelpärchen für deren Brutaufzucht auserwählt. Wir fanden es recht hübsch, aber bei den Vögeln ist es durchgefallen. War wohl mehr Schein als Sein. Deshalb hat Andreas es auch gleich in doppelter Ausführung gemalt. Aber auf dem Kopf. So kann es ja nicht klappen! Echt jetzt? Wirklich wahr!