Sind Landschaftsmalerei, der Impressionismus, Plein-Air-Malerei heute noch aktuell?
Der heutige Maler muss sich nicht selten von oben herab fragen lassen warum er überhaupt noch malt. Denn die Malerei wurde bis zum heutigen Tag mehr als einmal totgesagt. Die Photografie revolutionierte die Kunst gefolgt vom Film bis hin zum Computer und zum Internet aktuell. Was hat die Malerei hier noch zu bieten? Und was kann die zeitgenössische Landschaftsmalerei hier beisteuern? Darf man heute noch draussen malen? Draussen zu malen gilt heutzutage als total verpönt: Das machen angeblich nur die Hobbymaler, die ihren impressionistischen Vorbildern nacheifern und so nichts als Plagiate hervorbringen können. Der Impressionismus hat als innovativer Neuerer der Kunst ausgedient und es gilt als anachronistisch draussen zu malen. Es gibt aber immer mehr zeitgenössische Maler die sich diesem fragwürdigen Diktat widersetzen
Einer von diesem Künstlern ist der 1964 geborene Gerhard Rießbeck, der durch mehrere Reisen nach Island und Grönland auf die Idee kam als Expeditionsmaler mit auf einem Expeditionsschiff in die Arktis und die Antarktis zu reisen und dort ebenfalls plein air und durch die Enge auf diesem Schiff vorgegebene kleine Bilder vor Ort zu malen.
https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/expeditionsmaler-auf-antarktisreise-mit-der-polarstern.html
Erlaubt ist also eine plein air Malerei, wenn der Maler uns ungewöhnliche Orte vor Augen führt. Er knüpft an die Tradition des Expeditionsmalers an und an diese durch diese Tätigkeit legitimierte Arbeit als Künstler an: Den Daheimgebliebenen exotische und fremde Welten nahezubringen, sie darzustellen, ja, einfach zu zeigen. Früher war das Diktum einer möglichst realistischen Darstellung keine Interpretationen hinzuzufügen.
Ich zitiere Maria Sybilla Merian (* 2. April 1647 in Frankfurt am Main; † 13. Januar 1717 in Amsterdam) von Wikipedia: „In Holland sah ich jedoch voller Verwunderung, was für schöne Tiere man aus Ost- und West-Indien kommen ließ, … In jenen Sammlungen habe ich diese und zahllose andere Insekten gefunden, aber so, dass dort ihr Ursprung und ihre Fortpflanzung fehlten, das heißt, wie sie sich aus Raupen in Puppen und so weiter verwandeln. Das alles hat mich dazu angeregt, eine große und teure Reise zu unternehmen und nach Surinam zu fahren (ein heißes und feuchtes Land …), um dort meine Beobachtungen fortzusetzen.“
Heute sind genau diese Interpretationen erwünscht. Die zeichnerische und malerische Interpretation, die Umsetzung des Gesehenen, ist aber genau das was nur ein Künstler und kein Fotoapparat leisten kann und ist im übrigen auch genau der Grund dafür, weshalb auf archäologischen Ausgrabungen und heutigen Expeditionsreisen immer noch Zeichner mitfahren und die Abermillionen wissenschaftlichen Fotos eben doch nicht reichen.
Rießbeck hat bei einem ebenso großen Landschaftsmaler in Nürnberg studiert, Werner Knaupp, 1936 geboren. Er teilt mit ihm die Faszination für Reisen in extreme Landschaften, wie Wüsten, Vulkane, nach Island ins Nordpolarmeer. Knaupp ist vor allem bekannt geworden mit seinen riesigen schwarz-weiß Malerei der Westmännerinseln im Nordpolarmeer, die durch seine Größe und die reduzierte Farbigkeit, aber durch den dramatischen Farbauftrag das brodelnde schwarze Meer, die Wucht und die Dramatik des Eindrucks dieser schroffen Felsen im Nordpolarmeer vermitteln.
In Christopher Lehmpfuhl haben wir einen zeitgenössischen Künstler der mit seinen hyperpastosen Bildern unserer flüchtigen und nicht mehr greifbaren Bilderflut eine materielle Wucht und haptische Präsenz entgegenstellt. Für mich sind sie aus diesem Grund hochaktuell. Die großformatigen Bilder sind wahnsinnig schwer, für Galeristen und Käufer kaum alleine zu bewältigen, manchmal schwer zu hängen, brauchen in jedem Falle spezielle Hängevorrichtungen, mit Nägeln in der Wand ist da oft nichts zu machen. Kiloweise Ölfarbe aus riesigen Eimern werden von Christopher Lehmpfuhl verarbeitet. Er arbeitet ausschließlich mit den Händen und Fingern, Pinsel können in den zerfurchten Bildoberflächen nichts mehr ausrichten. Die Ölfarbe als Farbkörper wird mit den Fingern und Händen verschoben und auf der Leinwand dirigiert und platziert. Beeindruckend ist jedoch, dass Christopher Lehmpfuhl alle seine Bilder plein air direkt vor Ort malt, sich den Mühseligkeiten und den Widrigkeiten des Draussen Malens aussetzt, wie zum Beispiel Hitze, Kälte, Sturm, Mücken, weite und unbequeme Wege, der Zeitaufwand seinen Arbeitsplatz jedes Mal neu einzurichten usw.. Er schleppt die teilweise riesigen Formate an die Orte, die ihn interessieren. Er folgt dabei den gleichen Interessen wie seinerzeit die Maler des Impressionismus auch: das Licht, die bewegten Farben in der Landschaft oder der Stadtansicht. Aber die Umsetzung ist komplett neu. So pastos wie er hatte bis dato niemand gemalt! Mir erzählte er einmal, wie er überhaupt dazu gekommen ist draussen zu malen. Christopher Lehmpfuhl teilte sich während seiner Studienzeit mit mehreren Kommilitonen ein Atelier in der Hochschule und einer von ihnen experimentierte mit verdünnter Ölfarbe und schüttete literweise Terpentinöl auf seine Leinwände, so dass alle anderen und er selbst auch fluchtartig dieses Atelier verlassen mussten, das auf Stunden für alle, die ihre Gesundheit nicht mutwillig ruinieren wollten, blockiert war. Christopher Lehmpfuhl nahm in seiner Not kleine Leinwände und ein kleines Farbenequipment mit und radelte mit seinem Fahrrad und dieser Ausrüstung los und malte draussen.
Zunächst waren seine Bilder winzig. Auch schon pastos, aber noch moderat. Revolutionär damals war das klitzekleine Format. Der Erfolg und seine künstlerische Entwicklung nahmen seinen Lauf. Die Formate passten sich immer seinen Transportmöglichkeiten an, heute besitzt er einen Sprinter, der über und über von innen und aussen mit Farben beschmiert ist. Mit der Größe seiner Formate wurden jedoch auch zeitgleich seine Bilder immer pastoser.
Ein sehr beeindruckender Künstler, der sich an keine vorherrschende Meinung angepasst hat und der im Umgang mit der altehrwürdigen Ölmalerei zu neuen Innovationen gefunden hat, die uns Betrachter ebenfalls etwas Neues, so noch nie Gesehenes, bieten. Er selbst sagt über sich, dass er immer großen Respekt vor guter Kunst hat, egal, aus welcher Epoche sie stammt. Er orientiert sich an den Malern der Kunstgeschichte, wie auch den zeitgenössischen Kollegen und studiert deren künstlerische Ansätze. Er sagt: „Sie haben meine Sicht auf die Welt geprägt, weil sie etwas Zeitloses geschaffen haben, das jegliche Trends übersteht. Trends haben mich nie interessiert und ich denke, dass die Malerei lebt, solange es Menschen gibt, die malen. In der Umsetzung gehe ich dann aber eigene Wege – dabei ist die Auseinandersetzung mit der Gegenwart, unserer Weltlage essentiell wichtig. Mit dem Zyklus vom Schlossplatz agiere ich als Stadtchronist, in der Landschaftsmalerei geht es um das reine Naturerlebnis. Das sind die zwei Gegenpole“.
Ich freue mich, dass er zu den treuen Dozenten der Akademie für Malerei Berlin gehört und schon einige Studentengenerationen inspiriert hat.
(Ute Wöllmann – Akademieleiterin / Galeristin / Malerin / Autorin / Bloggerin)
Folgende „Landschaftsexpeditionen“ biete ich an:
Kurs 1003 „Landschaft – intensiv und experimentell“ am 29.6. und 30.6. von 10 -13 Uhr + 14 – 17 Uhr + 18 – 21 Uhr
Kurs 979 „Landschaftsmalerei intensiv – Kurz-Malreise in die Uckermark“ vom 11.6. – 13.6.
Arbeiten von Christopher Lehmpfuhl sind jederzeit zu sehen in Berlin, U-Bahn-Haltestelle Schlossplatz der Linie U5.
Am 21. Oktober wird im Museum Würth, Reinhold-Würth-Straße 15, 74653 Künzelsau eine Einzelausstellung von Christopher Lehmpfuhl eröffnet.