Das Malen der Ado-Goldkante
Auf der Rückseite der April 2019 Ausgabe von Schöner Wohnen hat Ado-Gardinen eine ganzseitige Anzeige gestaltet. Diese Gardinen gab es auch schon in meiner Kindheit und Jugend, das sind Gardinen mit einem Erkennungsmerkmal, nämlich einer eingenähten Goldkante für die damals Marianne Koch Werbung gemacht hat. Dann wurde es sehr still um die Marke. Jetzt also ist sie plötzlich wieder da! Man sieht im Hintergrund der Anzeige links an eine Wand gelehnt mehrere aufgespannten weiße Leinwände, teilweise mit Farben beschmiert, abstrakt, sehr helle Farben (Tooltip#1). Ein in der Anlage abstraktes Bild. Links auch noch ein angeschnittenes abstraktes Bild ansonsten leere Leinwände, die noch gemalt werden müssen. So durcheinander stapelt man keine Leinwände! Es soll nach Kreativität aussehen: da hat einer schon was gemalt, wird noch was malen. Davor auf dem hellen Holzdielenboden stehen Gefäße mit acht langstieligen Pinseln, alles Rundpinsel, so wie es aussieht Borstenpinsel für die Acryl- oder Ölmalerei (Tooltip#2). Alle sauber. Nirgendwo finden sich Farbspuren eines Arbeitsprozesses. Der Holzboden ist hell und super sauber. Kein Farbfleck auf den Beinen der Staffelei, des Schemels. Alles klinisch sauber. Mit diesen Pinseln sind die Flächen in den Bildern nicht gemalt worden! Dafür braucht man eher breite Flachpinsel. Die restliche Hintergrundfläche nimmt eine sehr dünn-durchsichtige Gardine ein. Eine Gardine, die mit einem relativ dicken und unruhig strukturiertem Gewebefaden in den Farben Beige und Rosa und einem bisschen Dunkelbraun gewebt ist, mit sehr, sehr viel Luft zwischen den Fäden. Also auf gar keinen Fall blickdicht. Und wie lässt sich dieser Hauch von Stoff am besten darstellen? Indem ein junge, blonde Frau mit guter Figur ein ärmelloses Jumpsuit trägt! Man sieht also sehr, sehr viel Haut durchschimmern, den Busen sieht man auch (Tooltip#3). Auch hier kein einziger Farbfleck auf der Kleidung , an den Händen. Nirgends. Ich finde die Frau ist völlig unpassend für das Malen gekleidet! Es ist in dem Setting eindeutig Sommer. Sie ist außerdem barfuß ein goldgelbes Tuch (die Goldkante!) um den Kopf geschlungen (Tooltip#4), damit ihr die langen blonden Haare nicht ins Gesicht fallen, Man arbeitet ja schliesslich. Was arbeitet sie denn? Hat sie gerade den Raum geputzt? Sie sitzt auf einem sehr filigranem, dünnbeinigem Schemel, die drei Beine gold verchromt (die Goldkante!) dessen runde Sitzfläche man ziemlich weit nach oben drehen kann (Tooltip#5). Dieser hier ist sehr weit hochgedreht. Und in diesem Outfit balanciert nun die Frau sitzend. Der rechte Unterarm ist auf das rechte aufgestellte Bein gestützt, in der Hand hält sie einen jenen runder Borstenpinsel. Und halt: Da endlich ist Farbe. Und zwar goldgelbe (die Goldkante!). Sie sitzt so weit weg, hoch oben auf diesem Dreibeiner, dass ihr ausgestreckter Arm mit Pinsel gar nicht an die Leinwand auf der Staffelei heranreichen würde (Tooltip#6). Alles ganz schön unbequem! Ich wollte auf einem solchen Schemel und so gekleidet nicht malen müssen. Ihr linker nackter, sauberer Fuß auf einem scharfkantigem Zwischenring des Schemels, das andere Bein mit auf der Sitzfläche abgestellt vor einer ebenso dünnbeinigen Mal-Staffelei. Das Modell kenne ich, das ist ein sehr preisgünstiger Dreibeiner. Sehr wackelig. Man sieht die Staffelei von hinten und auch nur eines von drei Beinen. Die Staffelei ist angeschnitten und auf der Staffelei steht eine Leinwand, sieht man auch von hinten. Und deshalb erkenne ich: Es ist gar keine Leinwand, sondern es ist billiges Maltuch. Vorgrundiertes Gewebe, auf einen Keilrahmen getackert, der Stoff exakt an der Kante des Keilrahmenschenkel abgeschnitten (Tooltip#7). Keine Keile zu sehen, es müssten eigentlich 8 sein, pro Ecke zwei. Die sind dafür da, dass der rechte Winkel des zusammengesteckten Keilrahmens rechtwinklig bleibt. Diese Leinwände gibt es überall zu kaufen. Manchmal sogar bei Aldi. Die Keile fehlen fast immer bei diesen Leinwänden. Wahrscheinlich soll der aufgespannte Stoff für genügend Stabilität sorgen, was er aber nicht tut. Wenn so etwas nur an der Wand hängt, mag das ja gehen. Wird so ein Bild aber öfters transportiert, dann werden die Ecken auch mal gestaucht und die Schenkel verschieben sich, der rechte Winkel ist futsch und das Bild ist schief, die Leinwand wirft dann manchmal auch Falten. Meistens wird der rechte Winkel jedoch so gehalten, dass die Schenkel an der Gehrung zusammen getackert sind. Dann kann man aber nicht mehr nachspannen, wenn die Leinwand schlapp geworden ist. Da müsste man von hinten mit einem Hämmerchen ringsum auf die Keile hämmern, diese treiben dann die Schenkel auseinander und der Keilrahmen spannt sich so in den Rahmen, weil er ein bisschen größer wird. Billige Ware also. Nichts für ein wirkliches Atelierleben! Da hat man auf Dauer keine Freude. Diese aufgespannten Bilder so zu stapeln und ineinander zu lehnen, wie wir es im Hintergrund sehen, ist wirklich sehr sträflich, weil dieses Maltuch empfindlich und nicht belastbar ist. Was bei einer Leinwand von guter Qualität vielleicht eine kleine Delle im Stoff hinterlassen würde, die man mit einem bisschen Wasser befeuchten kann und die sich dann schnell wieder glatt zieht, das ergibt es bei diesen billigen Maltüchern oft einen Riss. Ganz schnell.
Nirgendwo ein Wassergefäß zum Pinsel auswaschen während des Malens.
Egal.
In der linken Hand hält sie einen aufgeklappten Aquarellkasten der Firma Schmincke; ja, man erkennt den Schriftzug, auch wenn er verschwommen ist (Tooltip#8). Und hier spätestens bin ich raus aus der Nummer! Also Leute… echt jetzt. Das geht ja wohl gar nicht. Aquarelle werden in der Regel nicht auf Leinwand gemalt, und schon gar nicht auf so billigen, wie wir es hier sehen sondern auf Papier. Auf der vorgrundierten Leinwand perlt die Aquarellfarbe ab und haftet nicht. Und man kann auf keinen Fall solche Flächen malen, wie auf den Bildern im Hintergrund. Da muss man dann schon die Leinwand speziell grundieren. Und danach sieht es hier nicht aus! Man malt Aquarell auch nicht senkrecht stehend auf einer Staffelei, sondern waagrecht liegend. Sonst läuft nämlich die wasservermalbare Aquarellfarbe runter. Der Pinsel ist voller goldgelber Farbe. Wo kommt die denn her? Doch nicht aus den kleinen Porzellannäpfchen aus dem Aquarellkasten! Und auch noch so ganz ohne Wasser…
(Ute Wöllmann – Akademieleiterin / Galeristin / Malerin / Bloggerin)