Gibt es einen Alltag in Zeiten von Corona?
Seit Dienstag, 17.3. sind die Akademie für Malerei Berlin und die Galerie ROOT geschlossen. Vorerst bis zum 19.4. In der Galerie habe ich die Heizung heruntergedreht, sie ist eiskalt. Geld sparen in Zeiten ohne Einkünfte. In der Akademie für Malerei Berlin, in der sonst ein so reges Treiben, ein Kommen und Gehen herrscht, wandelt nur noch eine Menschenseele, nämlich ich.
Ich breite mich mit meinem Atelier aus und fülle die Räume der Akademie zunehmend mit meinen großen Ölschinken und arbeite zeitgleich an Aquarellen auf 120 x 240 cm großen Chinapapieren, die ich auf dem Boden ausgebreitet habe.
Das ist aber auch schon der einzige Vorteil, den diese Situation hat: Plötzlich ganz viel Platz und ganz viel Zeit, aber kein Geld. Ab Freitag, 27.3. um 12 Uhr konnte man auf der Webseite der IBB Antrag auf Soforthilfe für kleine UnternehmerInnen, FreiberuflerInnen, KünstlerInnen stellen – alles das trifft auf mich zu. Um 14.30 Uhr bekam ich die Nummer 105967 in der Warteschlange, heute am 28.3. um 23 Uhr sind noch 49486 vor mir. Die Warteschlange wurde gerade angehalten. Nur ein weiterer Wahnsinn in Coronazeiten. Ich hoffe, dass noch Geld da ist, wenn ich endlich drankomme…Die Rettung kommt erstmal vom Staat, ein Glück: Ein bisschen Geld für die nächsten Wochen. Ich bin dankbar dafür und fürs erste beruhigt. Wie lange wird das reichen? Alle Einkünfte brechen weg, alle Ausstellungen sind abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben. Wer weiß schon wann es wie weitergeht?
Wir Künstler arbeiten einfach weiter. Die Arbeit im Atelier ist eh ein einsames Geschäft, also hier business as usual. Mit der bangen Hoffnung, dass es nach Corona noch Käufer, Kunden und Galerien geben wird, für all die vielen Bilder, die jetzt gemalt werden!
Christoph Primm schreibt mir hierzu: Jetzt ist die Stunde der Malerei, denn:
– Malerei hat keinen Unterhaltungswert, kann also stattfinden.
-Malerei kann in der Regel in Gruppen von weniger als zwei Personen ausgeübt werden
– Malerei interessiert nur Leute, die sich für Malerei interessieren (Abstandsgebot!)
Von Martin Conrad erreicht mich heute eine Mail. Er schreibt, dass gestern eigentlich in Hamburg die Eröffnung der Gruppenausstellung: “Alles fließt, 10 Jahre Hanseatische Gesellschaft für Wasserfarbenmalerei” gewesen wäre. Speziell dafür und den Ausstellungsraum hat er in der letzten Zeit gearbeitet mit der Idee eines großformatigen mehrteiligen Bildes. “Spielplatz der Füchse”, 2020, Aquarell, Tusche, Papier auf Leinwand auf Tuch, 295 x 244 cm (6-teilig). Nun hängt es immer noch in seinem Atelier, ob die Ausstellung einen neuen Termin bekommt, ist ungewiss und er darüber sehr enttäuscht. Zeitgleich hat er ein Bild zum Abschluss gebracht: “Mit Steinen Schwimmen 13 (blaurot)”, 2018-2020, Acryl, Tusche, Papier auf Leinwand, 120 x 200 cm (2-teilig).
Ihm geht es soweit gut und er verbringt die Zeit Dinge aufzuarbeiten. So hatte er endlich den Kopf frei um einen Text zu den Schlüsselerlebnissen für seine künstlerische Konzeption fertig zu schreiben: Denken als Erlebnis, Bild als Erlebnis, Sehen als Erlebnis. Er wird in dem neuen Katalogbuch “Selbst” von Carmen Oberst erscheinen. Er arbeitet im Atelier jetzt wieder besser, nachdem er einige Zeit gebraucht hat, die ganze Situation zu begreifen.
Er erprobt sich jetzt zeichnerisch an Gegenstandsveränderungen vertrauter Formen durch Schatten und im großen Format sezierte Architekturformen, gerade anlegt. (Ausgehend von “Auf der Stelle, Haus 4 grün”, 2019, Acryl auf Papier, 50 x 60 cm).
Sein Kurs „Bild-Farbe-Energiepunkte“ am Wochenende 14. + 15. März war der letzte Kurs, der vor der Schließung unter Auflage strenger Hygienemassnahmen noch hat stattfinden können.
Marion Eichmann, schickt mir ebenfalls mehrere Momentaufnahmen aus ihrem Studio.
Sie arbeitet u.a. an einem Abflugschild für ihre kommende Ausstellung Ende Mai in der Galerie Stihl, Waiblingen. Es sollen Arbeiten von 2004 bis heute gezeigt werden, es geht um die Städte NY, Tokyo, Istanbul, Berlin…Für diese Werkschau baut sie eine Anzeigetafel (148 x 255 cn) aus Papier.
Hoffentlich kann diese Ausstellung stattfinden. Ende Mai, so hoffen wir alle, da wird doch der Spuk vorbei sein…Ihr Kurs an der Akademie „Inspiration, Kreatives Arbeiten – Alles ist erlaubt“ findet erst im Oktober statt. Aber bis dahin wohl sicherlich…
Und von Margit Buß aus Eckernförde (ihr Wochenkurs „Abstrakt/Experimentell/Informell“ wird im August hoffentlich stattfinden können!) erreicht mich eine wirklich positive Nachricht: Ihr Vermieter erlässt allen Künstlerinnen und Künstlern im Atelierhaus Carlshöhe in Eckernförde von sich aus ab April für 3 – 6 Monate die Ateliermiete! Dass es so etwas gibt! Bei meinem Vermieter hier in der Hardenbergstraße habe ich natürlich auch angefragt, ob er mir die Miete für April erlässt, was er leider abgelehnt hat. Bleibt also meine Warteschlangennummer 105967, damit ich von diesem Geld dann die Miete bezahlen kann.
(Ute Wöllmann – Akademieleiterin / Galeristin / Malerin / Autorin / Bloggerin)