Vom Habitus des Meisters zur verheerenden Nicht-Lehre
Durchforstet man einmal die Literatur, die Aufsätze und Artikel zur Lehre der Kunst insbesondere in diesem Land, kann man lediglich zu für die Ausbildung verheerenden Schlussfolgerungen kommen. Erstens gibt es immer noch einen Kult um den Meisterstatus: „Der Schüler muss den Meister bewundern, muss ihn lieben, muss überzeugt sein, dass er der Größte der Welt ist. Dann lernt er“, antwortet Markus Lüpertz 2004 in einem Interview in der Zeitschrift art spezial. Damit vertritt er eine Lehre, bei der sozusagen die Kunst „über jede Melehrung“ durch „Begabung“ und „Erwähltheit“ erhaben ist. Diese Kunst wird durch den Meister vermittelt. Und da das „künstlerische Wissen…dann nur noch einem durch Berufung und Initiation vermittelbaren Sektenwissen“ ähnelt, „erscheint Lehre verzichtbar. Die Weitergabe des künstlerischen Wissens soll erklärtermaßen gerade durch Nicht-Lehre geschehen“, so Lingner unter http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt_h-a_90-1_1-43.html in seinem bis Juni 2011 verfügbaren Aufsatz „Kunst als Projekt der Aufklärung jenseits reiner Vernunft“.
Dass „Kunst nicht lehrbar und erlernbar“ sei, gilt „immer noch als Glaubensgewissheit“, schreibt Feuilletonist Eduard Beaucamp 2008 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zugleich hält sich an den staatlichen Hochschulen oft hartnäckig die künstlerische Haltung der Avantgarden, die nach dem Krieg bis 1975 den Ton anführten. So führt Beaucamp fort:
„Die Spontanität, das Improvisieren, das freie Sich-Ausleben und eine nur noch konzeptionelle Kreativität sind heute akademische Gebote. ‚Selbstbestimmung’ gilt als Ideal, artistische Perfektion als Deformation, Dilettantismus ist höchstes Gut.“
An diesem Ideal der künstlerischen Selbstbestimmung, von der Notwendigkeit, nach den eigenen Bildsprachen und Bildinhalten zu suchen und sich dabei gleichzeitig am Meister orientieren zu müssen, reiben sich die jungen, lebensunerfahrenen Studentinnen und Studenten – noch dazu völlig ohne Führung – an den staatlichen Hochschulen jedoch hoffnungslos auf und fangen an zu straucheln. Zwar herrscht nach wie vor das Meister-Schüler-Verhältnis vor und bestimmt auch den Bildungsweg mit dem Abschluss „Meisterschüler“. Aber dieses Verhältnis impliziert offenbar keineswegs, dass der Meister den Schüler während des Studiums auch wirklich anleitet. So findet Professor Markus Lüpertz in art spezial „Ich bin sicherlich kein guter Lehrer. Ich bin Meister. Lehrer hat etwas mit Pädagogik zu tun, das habe ich nie gemacht, das kann ich auch nicht…der Begriff des Lehrers umfasst so viel, es reicht doch schon, dass ich Künstler bin“.
Tobias Rehberger (geb. 1966), seit 2001 Professor an der Städelschule, schildert in Kunst lehren im Jahr 2007 auf Seite 128 wie junge Studentinnen und Studenten reagieren:“…die meisten sind sehr geschockt, wenn ich ihnen sage: ‚Ihr seid jetzt zwar in der Hochschule, aber ihr solltet wissen, dass es hier nichts zu lernen gibt, das ist euch doch klar?“ Diese ideologisch aufgeladene Haltung hat erstens zur Folge, dass den Studierenden an den staatlichen Hochschulen keine Grundlagen mehr vermittelt werden, obwohl man, wie sogar Markus Lüpertz einräumt, das Handwerk sehr wohl lehren kann. Zweitens bewirkt sie, dass die Studierenden auch pädagogisch nicht angemessen betreut werden. Denn wo „Meisterverherrlichung und Dilettantensehnsucht“gleichzeitig regieren, um noch einmal Michael Lingner zu zitieren, werden meiner Meinung nach vor allem die Person des Meisters und dessen Bilder studiert: Wie der Meister seine Ideen entwickelt, wie er sie technisch umsetzt, was in seinen Augen Malerei ist, wie er sich als Person verhält, wie er sich kleidet, was er sagt, wie er sich vermarktet etc. Aber: was geschieht hier mit dem so wichtigen eigenen und wieder erkennbaren authentischen Standpunkt, mit dem allein man sich nur auf dem Kunstmarkt behaupten kann?
(Ute Wöllmann – Akademieleiterin / Galeristin / Malerin / Autorin / Bloggerin)
Quelle:
Auszug aus „Über die Kunst, erfolgreich Malerei zu studieren – Ein Lehrbuch“, Ute Wöllmann, ReimerVerlag Berlin 2012, ISBN 978-3-496-01455-3
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