Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Um die Ecke von der Akademie für Malerei Berlin und der Galerie ROOT befindet sich eine Galerie, bei der man sich als Besucher willkommen und eingeladen fühlt: Die Galerie Friedmann-Hahn. In den großzügigen Ausstellungsräumen stehen in der Mitte der Räume gepolsterte Sitzbänke, die zum längeren Betrachten der Exponate auffordern, in einem der hinteren Räume gibt es kleinere Bilder und Kataloge zum Blättern, hier laufen auch Filme über die ausstellenden Künstler. Beim Betreten der Galerie wird man freundlich angesprochen. Es macht Spaß sich hier Ausstellungen anzuschauen!
Ich betrete die Galerie an einem regnerischen Märztag. Mirko Schallenberg, Jahrgang 1967, ein Dozent der Akademie für Malerei Berlin, hat eine Ausstellung. Er malt großformatige realistische Stillleben. Langweiliger geht’s nicht, mag man jetzt vielleicht denken. Was will uns der Künstler damit sagen? Nun, zunächst sagt er uns etwas über Bildaufbau und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Objekte gibt es allesamt real in seinem Atelier und er baut wirklich ein Stillleben auf, das er dann abmalt. Meist stapelt er die Objekte in fragilen Aufbauten übereinander. Sie stehen nicht einfach so beieinander, sondern sie sind ungewöhnlich präsentiert. Es geht außerdem um Gleichgewicht der Gewichtungen und Gewichte. Künstlich. Gewollt. Eine neue Sicht auf die Dinge. Es geht um die Frage: Was ist real? Was ist realistisch? Was ist realistische Malerei? Ist es wirklich so? Kann es so sein?
Ich sehe in der Ausstellung das Bild „Entbergung“.
(Mirko Schallenberg, „Entbergung“, 2018, Öl auf Leinwand, 170 x 175 cm)
Ich kenne das Bild, es ist als Abbildung im aktuellen Programmheft der Akademie und außerdem hing es in der Ausstellung „Tierisch gut – Eine Ausstellung mit Arbeiten von Dozenten, Absolventen und Studenten der Akademie für Malerei Berlin rund um das Thema Tiere in der Kunst“ anlässlich der Tage der Offenen Tür im Sommer letzten Jahres.
(Ausstellungsansicht „Tierisch gut“, von links nach rechts: Susanne Isakovic, Gan-Erdene Tsend)
(Ausstellungsansicht „Tierisch gut“, von links nach rechts: Silke Bachmann, Andreas Amrhein, Irmgard Bornemann, Mirko Schallenberg)
In dem Bild ist ein Lachs am Schwanz mit einer Schnur in eine Obstkiste gehängt, aus dem Lachs ist ein viereckiges Stück herausgeschnitten. Das Bild löste in der Ausstellung viele Fragen aus, zum Beispiel: Wie lange braucht Mirko Schallenberg denn, um den Lachs zu malen, hat er nicht gleich angefangen zu stinken? Den Lachs hat er doch ausnahmsweise vom Foto abgemalt? Nein, hat er nicht. Mirko Schallenberg malt nicht nach Fotos. Den Lachs gibt es immer noch tiefgefroren in seiner Tiefkühltruhe zuhause, verrät er uns. Das überlebensgroße Format zeigt uns Malerei – und nicht Realismus. Wir sehen, gerade durch das große Format, wie toll die Haut und das Fleisch des Lachses und auch die Rinde des Baumes gemalt sind. Ganz anders als in den Bildern zum Beispiel des fast gleich alten Michael Triegel, Jahrgang 1968, dessen neueste Bilder gerade in der Galerie Schwind, Springerstraße 5, 04105 Leipzig zu sehen waren. Seine superrealistische und wahnsinnig genaue Malweise findet meist in kleinen Formaten statt, auch seine großen Formate sind wesentlich kleiner, als die Bilder von Mirko Schallenberg. Michael Triegel beeindruckt, wie die alten Meister, vor allem durch sein großes handwerkliches malerisches Können. Hut ab! Ich war beeindruckt davon, wie er den Bart in einem Porträt gemalt hat (mindestens tausend Linien mit Pinselstärke ’00!) Nur gab es zu Zeiten der alten Meister noch keine Fotografie, die einen Teil der Aufgaben damaliger Gemälde übernommen hat. Eine altmeisterliche Malerei, die auf handwerkliches Können basiert, muss sich heutzutage fragen lassen, was sie uns Neues zu bieten hat. Bei Mirko Schallenberg sehe ich ein Spiel mit der Wirklichkeit. Es ist kein Abbild, sondern das Bild selbst ist Wirklichkeit. Ich werde mit der Frage konfrontiert: Ist es wirklich so? Was sehe ich? Und beim Glas zum Beispiel sehe ich bei Mirko Schallenberg: Nein, so ist es real nicht. In echt sieht das ganz anders aus und müsste eigentlich anders gemalt werden, zum Beispiel eventuell so wie bei Michael Triegel. Mirko Schallenberg nimmt sich also die Freiheit gegenüber der Realität heraus, es so zu malen wie er es will und nicht so wie es aussieht, obwohl er das natürlich auch kann.
(Ute Wöllmann – Akademieleiterin / Galeristin / Malerin / Autorin / Bloggerin)
- Mirko Schallenberg bietet im laufenden Semester noch folgende Kurse an:
Keine Kurse vorhanden.
- Die Ausstellung „Nigredo“ mit Mirko Schallenberg ist noch bis 23. April 2019 zu sehen:
Galerie Friedmann-Hahn
Wielandstr. 14
10629 Berlin